Gegen den Naziaufmarsch am 1. September 2012 in Dortmund
Am 1. September 2012 wollen Hunderte Neonazis aus ganz Deutschland
und den europäischen Nachbarländern in Dortmund aufmarschieren.
Anlass ist der von den Dortmunder Neonazis etablierte sogenannte
„Nationale Antikriegstag“. Die Dortmunder Neonazis ignorieren den
historischen Bezugspunkt dieses Gedenktages und versuchen ihn für ihre
geschichtsrevisionistische und rassistische Propaganda
öffentlichkeitswirksam zu nutzen, indem sie beispielsweise meinen, “ein
Zeichen gegen imperialistische Kriegstreiberei und Aggressionskriege”
setzen zu wollen.
Seit Ende der fünfziger Jahre wird in Deutschland am 1. September
traditionell der “Antikriegstag” oder “Weltfriedenstag” begangen, um an
den Beginn des Zweiten Weltkriegs zu erinnern. Am 1. September 1939
griff die deutsche Wehrmacht Polen an und startete mit diesem
Septemberfeldzug einen Vernichtungskrieg, der über 50 Millionen Menschen
das Leben kostete.
The same shit as every year?!
Seit seiner Einführung im Jahr 2005 gewann der “Nationale
Antikriegstag” kontinuierlich an Bedeutung, was nicht nur die wachsenden
Teilnehmerzahlen unterstrichen. Bis 2009 konnte man von einer
„Erfolgsstory“ der sogenannten „Autonomen Nationalisten“ in Dortmund
sprechen, denen es gelungen war, einen Szene-Event aufzubauen, das
bundes- und sogar europaweit die Beachtung und Anerkennung von Neonazis
fand. Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass die Erfolgsgeschichte der
extrem rechten Großveranstaltung im Jahr 2009 einen empfindlichen
Einschnitt erfuhr. Startete der Aufmarsch 2005 mit etwa 200
Teilnehmer_innen und wuchs bis 2009 auf 1.100 an, so waren es im
vergangenen Jahr lediglich noch etwa 500 Neonazis, die den Weg nach
Dortmund fanden, obwohl sie im Unterschied zu den Jahren 2010 und 2011
an einer Demonstration teilnehmen konnten statt nur an einer stationären
Kundgebung.
Dortmund ist weiterhin eine der wichtigsten Hochburgen der
Neonaziszene in Deutschland. Mit dem „Nationalen Widerstand Dortmund“
und der „Skinheadfront Dortmund-Dorstfeld“ existieren hier zwei überaus
aktionistische und gewaltbereite Gruppierungen, die bereits seit vielen
Jahren regelmäßig Aufmärsche durchführen und an gewalttätigen
Übergriffen beteiligt sind. In den vergangenen Monaten geriet die rechte
Szene in Dortmund jedoch immer stärker unter Druck. Nachdem die Stadt
Dortmund jahrelang versucht hatte, ihr offenbares Neonazi-Problem durch
Leugnen, Ignorieren und Totschweigen zu lösen, hat die Recherche- und
Öffentlichkeitsarbeit lokaler antifaschistischer Gruppen nun maßgeblich
dazu beigetragen, mehrere Protagonist_innen der Neonazi-Szene vor
Gericht zu bringen und Polizei und Stadtverwaltung zu einem
konsequenteren Vorgehen gegen die rechten Umtriebe zu zwingen. So fanden
in diesem Jahr bereits mehrere Hausdurchsuchungen und Gerichtsprozesse
gegen Angehörige der Dortmunder Neonazi-Szene statt. Zudem kündigte die
Stadt den Mietvertrag für die Räumlichkeiten des „Nationalen Zentrums“
im Stadtteil Dorstfeld.
Maybe never stopped the Nazis
Die Repressionen, denen sich die rechte Szene in Dortmund momentan
ausgesetzt sieht, können durchaus als Erfolg der jahrelangen
Antifa-Arbeit vor Ort gewertet werden, denn ohne den Druck durch die
zahlreichen Demonstrationen und Veröffentlichungen lokaler
Antifa-Gruppen hätten Stadt und Zivilgesellschaft wohl auch weiterhin
die Augen vor den Aktivitäten der Neonazis verschlossen. Trotzdem – oder
gerade deshalb – darf der Widerstand gegen den Großaufmarsch am 1.
September keinesfalls den staatlichen und zivilgesellschaftlichen
Kräften überlassen werden. Rassismus und Antisemitismus sind bis tief in
die sogenannte Mitte der Gesellschaft verankert und finden dort ihren
Nährboden. Und: Bei all dem staatlichen Vorgehen gegen Neonazis muss
auch beachtet werden, dass der Staat dabei mehr aus “Image-Gründen”
agiert als mit dem Ziel, effektiv Neonazis bekämpfen zu wollen.
Die Polizei hat bereits im letzten Jahr deutlich gemacht, dass sie
eine Blockade oder gar Verhinderung der neonazistischen Demonstration
nicht zulassen wird.
Zwar hat Dortmund seit kurzem einen neuen Polizeipräsidenten, der sich
als Sympathisant von Mahatma Gandhi und Nelson Mandela gerne
pazifistisch geprägt und liberal darstellt, doch darf bezweifelt werden,
dass er bei einem “Gefahrenpotenzial” den rechten Aufmarsch zur einer
Auflösung bringt. Beispielsweise wurde den Dortmunder Neonazis am 31.
März 2012 erstmals wieder gestattet, durch die Dortmunder Innenstadt zu
laufen, wobei die Aufmarschroute der Neonazis ähnlich polizeilich
abgeriegelt wurde wie die Nordstadt im September 2011. Und obwohl
mehrere Menschen die Route zeitweise blockierten, wurden sie
letztendlich von der Polizei “beseitegeschoben” und durften nur noch als
symbolische Randerscheinung ihren Protest kundtun – als einzige in
Sicht- und Hörweite. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass die Exekutive
einen “Sonderplan” bei Blockaden fährt: Genehme, symbolische Aktionen
werden geduldet, während zwei Schritte weiter Blockaden von
Antifaschist_innen weggeknüppelt werden – unter Einsatz von
Wasserwerfer, Schlagstock und literweise Pfefferspray.
Es ist zu erwarten, dass 2012 große Teile des zivilgesellschaftlichen
Spektrums sich einmal mehr auf symbolische Aktionen fernab der
Aufmarsch-Route beschränken und ihr Gewissen damit beruhigen, den
Neonazis ihren bürgerlichen Mittelfinger zu zeigen. Wir begrüßen, dass
Teile dieser Gesellschaft mittlerweile das Neonaziproblem wahrnehmen und
dagegen angehen wollen, doch sollten sich diese genausowenig mit
liberalen Versprechen und “symbolischen” Akten zufriedengeben wie
radikale linke Antifaschisten_innen.
Wir begrüßen ausdrücklich die Einrichtung der Beratungsstelle für Opfer
rechter Gewalt, die 2011 unter dem Namen “Back up” ihre Arbeit in
Westfalen aufgenommen hat – die erste ihrer Art in Westdeutschland.
Konsequenter Antifaschismus? Konsequenter Antifaschismus!
Dass der Staat und seine Anhänger für die antifaschistische Linke
keine Bündnispartner sind, macht auch sein Vorgehen gegen linke
Nazi-Gegner_innen deutlich. So wurden im Zuge der Proteste gegen den
letztjährigen Antikriegstags-Aufmarsch zahlreiche linke Demonstranten
durch Pfefferspray- und Schlagstockeinsatz verletzt. Fast 300 Menschen
wurden festgenommen. Dass der Staat ebenso unbeirrt gegen Bürger_Innen
vorgeht, die versuchen, einen Naziaufmarsch zu verhindern, erstaunt also
nicht: Aktivist_Innen aller Coleur werden kriminalisiert,
beispielsweise wurde eine Person wegen der Verlinkung (!) des
letztjährigen Alerta!-Aufrufs zu einer hohen Geldstrafe verurteilt.
Antifaschismus aus Sorge um Deutschland? Leider nein, leider gar nicht!
Es ist weniger die menschenverachtende Ideologie und Praxis der
Nazis, welche die Vertreter_innen des Staats dazu bringt, gelegentlich
gegen die Strukturen und Protagonisten der rechten Szene vorzugehen. Die
deutschen Behörden sind vielmehr daran interessiert, ihr Gewaltmonopol
aufrechtzuerhalten und Regelverstöße zu sanktionieren. Dort, wo sich die
Nazis an Recht und Gesetz halten, können sie oft ungehindert von
staatlicher Repression an der Umsetzung ihrer menschenverachtenden
Agenda arbeiten.
Zudem haben die deutschen Regierungen und das Gros der sogenannten
Zivilgesellschaft seit dem Jahr 2000 erkannt und verinnerlicht, dass der
“Kampf gegen Rechts” große Bedeutung für die Selbst- und
Außenwahrnehmung der Deutschen hat. Deutschland muss sich selbst und dem
Rest der Welt immer aufs Neue vorsagen oder vielmehr durch
“spektakuläre Aktionen” vermitteln, dass man Anno 2012 schwer geläutert
sei und die BRD sich ihrer “historischen Verantwortung” für den
Nationalsozialismus stelle. Eine solche Denkweise ist elementarer
Bestandteil des “neuen”, “weltoffen-lockeren” und doch selbstbewussten
Nationalismus der Gegenwart geworden. Wir hingegen bekämpfen die Nazis
nicht deshalb, weil sie hier und da gegen Gesetze verstoßen oder weil
das neu-deutsche Selbstverständnis durch ein allzu offensives und
offensichtliches Auftreten von bekennenden Nationalsozialist_innen
Schaden nehmen könnte, sondern weil ihr politisches Programm unseren
Vorstellungen von einer befreiten Gesellschaft diametral entgegensteht.
Daher ist es uns auch herzlich gleichgültig, ob der Aufmarsch der
Neonazis durch Grundgesetz und Versammlungsfreiheit geschützt ist. Wir
werden mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln dagegen vorgehen,
weil wir ihnen jede Möglichkeit nehmen wollen, ihre Ideologie öffentlich
zu verbreiten.
Be part of it!
Die Aktionen des Alerta!-Bündnisses gegen den Aufmarsch am 3.
September 2011 waren ein beachtlicher Teilerfolg. Immer wieder entglitt
der Polizei die Kontrolle über den Ablauf der Proteste, an denen sich
Tausende Antifaschist_innen beteiligten. Unangemeldete
Demonstrationszüge Hunderter Nazi-Gegner_innen konnten sich mehrmals der
Aufmarsch-Route nähern und das Polizei-Konzept, das eine vollständige
Abriegelung des Stadtteils vorsah, zumindest ins Wanken bringen. An
diesen Teilerfolg wollen wir am 1. September 2012 anknüpfen. Neue
Impulse im Kampf gegen die Dortmunder Neonazi-Szene und ihren
„Nationalen Antikriegstag“ erwarten wir dabei vor allem vom Bundesweiten
Antifa-Camp, das vom 24. August bis zum 2. September in Dortmund
stattfinden wird.
No more Maybe! – Den Naziaufmarsch blockieren, sabotieren, verhindern!
Antifaschistische Strukturen ausbauen & verteidigen!
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